Es ist Viertel vor 12 Uhr. Die ersten Autos tauchen oben am Horizont auf.
Wir sehen sie von der Anhöhe langsam hinab auf Huser Gard zurollen, auf dem riesigen Stoppelfeld vor der Scheune parken. Leute steigen aus.
Warum kommen sie so früh?
Schon VOR 12 Uhr, schon vor dem eigentlichen Beginn?
Aus Angst etwas zu verpassen?
Wir wissen es nicht, wundern uns. In Deutschland wäre das anders.
Aber alles ist bereit. Alle sind bereit.
Am Vorabend sind Verwandte aus Kristiansand, aus dem Süden angereist.
Fünf Frauen, drei Generationen - Großmutter, Mutter und drei Töchter!
Haben 600 km hinter sich gebracht, um hier am Wochenende zu helfen, das Julekafé zu „schmeißen“.
Die ganze Nacht haben sie gebacken: Zimtschnecken und Rosinenbrötchen, Gewürzkuchen, Lebkuchenherzen, Würstchen im Schlafrock, …
Im Handumdrehen ist die alte Scheune voller Leute.
Jetzt kommt der Raum erst richtig zur Geltung, sieht wunderschön aus.
Die Lichter, die Stände, das Tannengrün, dazwischen die vielen Menschen!
Diese beiden Tage werden dem alten Gemäuer Ehre und Lise sicher glücklich machen.
Vor zwei Jahren hatte sie die Scheune renoviert, sie dabei so original und authentisch gelassen wie möglich; vom Fensterglas, über die windschiefen Rahmen, bis hin zu den massiven Balken, die das Dach tragen. Ein schwieriges Unterfangen. Das Resultat: ein tolle „Location“, von der Lise möchte, dass sich auch andere daran erfreuen und daran teilhaben können.
Heute gibt es hier:
Gestricktes, Gebackenes, Gekochtes, Genähtes, Gemaltes, Gedrechseltes, Gesammeltes, Geerntetes, … Nur wenig Gekauftes. … Fast alles Handarbeit.
Hinten links in der Ecke hat Kjell Ivar seinen Stand.
Vielleicht Anfang 40, rote Zipfelmütze, er sieht glücklich aus. Freut sich, daß seine kleinen Kunstwerke auf Begeisterung stoßen: gedrechselte Holzfiguren, Anhänger, Eicheln, Pilze …
Alles in dezenten Naturfarben, mit überaus handschmeichelnder Oberfläche.
Er mache das alles selbst, sagt er, abends, nach der Arbeit. An der Werkbank seines Großvaters.
Er liebe diese Beschäftigung, ginge darin völlig auf, könne dabei alles um sich herum vergessen.
„You know, this hobby is my salvation!“
Auch ich bin begeistert, kann nicht widerstehen.
Eine dieser Kostbarkeiten muss (!) einfach nächstes Jahr an unserem Weihnachtsbaum hängen … als Erinnerung an diesen besonderen Tag.
Ich wähle eine kleine Eichel!
Draußen auf dem Hof ist viel los:
Die sonst so bockigen Ponys lassen sich heute brav Runde um Runde um die beiden Birken führen, tragen schickes Zaumzeug um den Kopf und stolze kleine Reiter auf ihren Rücken. Mit Helm! Fast wie in Deutschland!
Lise macht den Nikolaus. Irgendwo hat sie ein altes Kostüm aufgetrieben. Und eine Maske. Sie ist Julenissen. Hat einen Sack dabei, aber keine Süßigkeiten. „Kinder müssen nicht immer etwas kriegen“, sagt sie.
Lise ist eine Frau mit Prinzipien. Die Kinder gehen also leer aus.
Das wäre in Deutschland anders.
Stattdessen gibt es Kino im alten Schuppen mitten im Gerümpel.
Und vor dem Julekafé eine riesige Schlange. Während Mutter und Großmutter drinnen weiter im Akkord backen, kommen die drei Mädels draußen mit dem Kaffeekochen nicht hinterher. Der Andrang größer als erhofft, und das obwohl es keinen Glühwein gibt.
In Deutschland wäre das unvorstellbar.
Traditionell tanzen die Skandinavier ausgelassen um den Weihnachtsbaum. Lises Tochter Ingrid hat sich schon vor einer Woche auf diesen Augenblick gefreut. Sie läßt sich vom Christmas Spirit mitreissen und tanzt mit den anderen im Kreis. Genauso hatte sie sich den Weihnachtsmarkt wohl vorgestellt.
Gegen drei sind die meisten Besucher schon wieder weg.
Warum gehen die so früh?
Noch vor Einbruch der Dunkelheit, wenn es erst so richtig gemütlich wird?
Verbringen sie den Abend lieber zuhause?
Wir wissen es nicht, wundern uns. In Deutschland wäre das anders.
Eine Frage bleibt noch:
Wieviel Besucher waren an diesem Wochenende in Huser Gard?
Antwort: Tausend…Vielleicht mehr…
Irgendwann haben wir aufgehört zu zählen.
Wir setzen uns noch eine Weile ans Lagerfeuer, lernen Kristin und ihre Tochter kennen.
Die junge Frau hört uns interessiert zu und lädt uns dann spontan nach Nordnorwegen ein.
In die Hütte ihrer Großmutter. Einfach so!
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Famille DEMARCQ (Samstag, 03 Dezember 2022 09:24)
Vous avez fait un travail remarquable, il n'y a qu'à voir l'expression des enfants.
Les gens avaient l'air très heureux de se retrouver. Quel monde.
Bravo à vous !