Weltenwechsel

 

Ich weiß gar nicht mehr, wie wir darauf kamen. 

Wir saßen schon im Auto, hatten Røros hinter uns gelassen und waren unterwegs gen Norden Richtung Trondheim.

Wollten uns die Stadt und den Nidarosdom anschauen.

Da kam sie uns plötzlich und völlig unverhofft in den Sinn. 

Fast so, als hätte sie sich uns in Erinnerung rufen wollen. 

Die Straße der Meere, das Highlight im Westen Norwegens, das Bauwerk des Jahrhunderts

… die Atlantikstraße

Ein Blick auf die Karte und die Sache war klar. 

Wenn dann jetzt! Trondheim musste noch warten. 

 

So schnell hatten wir uns selten umentschlossen.  

Im Nu lag die E6 hinter uns und kleine Straßen führten uns aus dem inländischen Bilderbuchwinter in Richtung Westen - Richtung Küste. 

Die Schneemengen nahmen ab, die Temperaturen zu und der Wind ebenso. 

Sehr bald schon griffen die ersten Meeresarme nach uns. 

Keine zugefrorenen Seen und Eisflächen mehr, sondern offenes Wasser, Fjorde, die bis weit ins Land reichten. 

Straßen, die abrupt am Wasser endeten, nur durch die Fahrt mit einer Fähre fortzusetzen waren. 

Ein absoluter Weltenwechsel! 

 

Wir verbrachten eine unruhige sturmgebeutelte Nacht am Fuße der ersten Brücke. 

Gegen 24:00 Uhr mussten wir die Minna umstellen, damit sie den Böen weniger Angriffsfläche bot.

Aus Regen wurde Schneeregen und die Temperatur sank von 13 auf 2 Grad.

Lange lag ich wach, etwas in Sorge wegen des Wetters und der bevorstehenden Fahrt am nächsten Morgen. 

Eigentlich nur etwas mehr als 8 Kilometer, die aber extrem exponiert … und das bei diesem Sturm. 

 

Nicht nur einmal, sondern mehrfach sind wir am nächsten Tag die Strecke zwischen Vevang und Kårwåg hin und hergefahren. 

Der Wind hatte ein bisschen nachgelassen. Geblasen hat es immer noch ordentlich. 

So viele Fahrzeuge aber waren unterwegs, schon seit dem frühen Morgen: 

PKW, LKW und Kleintransporter rauschten an uns vorbei, als wäre nichts dabei … 

Na also! 

Immer wieder haben wir angehalten, sind ausgestiegen, ein Stück gelaufen.

Haben gestanden und gestaunt, die Brücken, das Meer und die Berge in der Ferne aus allen erdenklichen Winkeln und Perspektiven betrachtet. 

Haben uns vom Regen durchnässen, vom Wind durchpusten lassen. 

 

Dreimal „musste“ ich alleine über die spektakulärste der acht Brücken fahren, die Storeisundbrücke, die wie eine verdrehte Rampe hoch in den Himmel ragt. 

260 m lang und 23 m hoch! 

Des Fotos wegen! 

Entspannt war ich nicht wirklich bei diesen unberechenbaren Böen. 

Das Lenkrad fest umklammert nahm ich Anlauf. 

Auf dem höchsten Punkt rutschte mir jedes Mal das Herz ein bisschen in die Hose. 

Die Silverstar im Europapark ließ grüßen. 

 

Ich weiß nicht, wie viele „Shots“ Christof  insgesamt gemacht hat. 

Er war völlig im Glück, ob des spektakulären Strassenverlaufs, ob der grandiosen Ausblicke, ob des stürmischen und regnerischen Wetters, ob der aufgewühlten See.  

Endlich mal eine andere Landschaft, ein anderes Wetter, eine andere Stimmung! 

Es heißt, den Atlantahavsveien bei jedwedem Wetter zu befahren, erzeuge Rauschzustände. 

Nicht nur Porsche und Alfa Romeo haben das spitzgekriegt und die atemberaubende Kulisse für ihren Werbeshowlauf entdeckt.

Auch James Bond fand hier Keine Zeit zu sterben

Zu Eurer Info: 

Ursprünglich, Anfang des 20. Jahrhunderts als Eisenbahnstrecke geplant, wurde der Bau der Atlantikstraße 1983 begonnen und 6 Jahre später fertiggestellt, 1989 wurde sie eröffnet. 

Sie ersetzte die bis dahin bestehende Fährverbindung, die auf einer ähnlichen Route verlief. 

Wie ein Meereswurm schlängelt  sich der Atlanterhavsveien teils dicht über der Wasseroberfläche teils hoch darüber und verbindet durch seine acht Brücken unzählige Inseln, Holme und Schären. 

Rechts und links der Strecke laden ausgewiesene Halteplätze, Aussichtspunkte und Anglerbrücken zum Aussteigen und Verweilen ein. 

Die Norweger sind Meister des Straßen-, Tunnel- und Brückenbaus. 

Überwältigende Natur trifft hier auf moderne Architektur- und Ingenieurskunst. 

122 Millionen Kronen hat sich das Land die Atlantikstraße kosten lassen.  

Der Bau neuer Verkehrswege ist in Norwegen noch immer ein Projekt zur Einigung der Nation:

zum Anschluss des Nordens an den Süden, zur Anbindung abgeschiedener Gegenden, zur Schaffung von Infrastruktur, zur Verhinderung von Landflucht.

Für die meisten der neuen Strecken wird eine heftige Maut erhoben. Fähren wären billiger. Aber sie werden eingestellt, weil sich Brücken und Tunnel nur dann amortisieren, wenn alle sie benutzen müssen. 

Mittlerweile ist die Atlantikstraße abbezahlt und die „Überfahrt“ ist kostenlos.

Was für ein unglaublicher Luxus! 

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Kommentare: 2
  • #1

    Heinz (Montag, 13 März 2023 11:36)

    Was für tolle Eindrücke! Herausragende Fotos

  • #2

    Hélène DEMARCQ (Sonntag, 19 März 2023 10:50)

    whaow ! Sublime et terrifiant à la fois (pour la conductrice, comme on dit chez nous, "chapeau bas" (révérence admirative)