Dünnes Eis? 

Es war klar, die Loipe würde irgendwann aufhören. 

Auf der Übersichtskarte am Parkplatz konnte man jedoch erkennen, dass danach ein Pfad weiterführen würde - ein SOMMERwanderweg - 11 km! 

Einmal um den gesamten Stor-Kongsvatnet, den alten Königssee, herum. Das wollten wir versuchen. 

Immerhin hatten wir ja unsere geländegängigen Backcountryski unter den Füßen und 11 km schienen uns nicht weit. 

 

Das Ende der Loipe war schnell erreicht. Da hörten die Spuren dann auch prompt auf. 

Von dem Wanderweg war unter all dem Schnee natürlich nichts zu sehen. Mit viel Fantasie konnte man seinen Verlauf erahnen. 

Was dann allerdings kam, war eine halsbrecherische Kraxelei über Stock und Stein, über verschneite Bachläufe und schmale Holzstege, um Felsen und Bäume herum. Der reinste Hindernislauf! Teils auf abfallendem Terrain, teils steil oberhalb des Sees. 

Immer im hohen Schnee und alles mit den langen Latten an den Füßen. Von wegen geländegängig! 

Die Dinger abziehen und tragen kam allerdings nicht in Frage. Das verbot der Stolz.

Und umdrehen schon gar nicht. Das verbot die Aussicht, die ganzen heiklen Stellen noch einmal passieren zu müssen. Bloß nicht! Also weiter! 

 

Irgendwann nahmen wir zu unserer Rechten eine Bewegung wahr. Da kam doch tatsächlich einer auf Skiern über den See. 

Mutterseelenallein auf der riesigen weißen Fläche lief der Typ genau in unsere Richtung. 

War der denn verrückt? Ging das überhaupt einfach so über den See laufen, ohne einzubrechen? 

Es hatte doch schon tagelang getaut und der See zeigte im Uferbereich deutlich offene Stellen. 

Wo kam der denn her? Und vor allem: Wo wollte der denn hin?

Zu einer Schutzhütte am Seeufer offenbar. Dort trafen wir nämlich ein paar Minuten später aufeinander. 

Während der junge Mann hinter der Hütte „verschwand“ - er wähnte sich ja alleine  - stolperten wir auf unseren Brettern aus dem Wald auf die Lichtung. 

Da war natürlich die Verwunderung groß, als er sich umdrehte. 

Zwei Gestalten, German Silverager, auf Skiern, weitab der Loipe …

Oh je! Wo wir denn herkämen? Und vor allem: Wo wir denn hinwollten?

Unsere Idee der Seeumrundung fand er gar nicht toll, wohl eher verrückt.

Zwei Stunden würden wir mindestens noch brauchen und sicher nicht vor Einbruch der Dunkelheit wieder am Auto sein. „It‘s steep and there are many rocks!“

Und überhaupt: einfach zu waghalsig dieses Vorhaben … vor allem „under these conditions“. 

Seine Ansage lautete deshalb ganz klar: 

„I really recommend you NOT to continue any further!“ 

 

Deutliche Worte aus dem Munde eines offenbar ortskundigen Einheimischen, die mich natürlich sofort total eingeschüchterten. 

In vorauseilenden Gehorsam sah ich uns schon den ganzen verdammten und mühseligen Weg wieder zurückstöckern … um Felsen und Bäume herum,

über verschneite Bachläufe und schmale Holzstege, über Stock und Stein. Alles retour! Nein Danke! 

 

„Really??? - But what shall we do?“ 

Sein Vorschlag: den Weg zurück zur Loipe  ü b e r   d e n   S e e nehmen. 

"Really??? Across the lake? Are you sure?"

Das wäre ja ein noch viel waghalsigeres Vorhaben …vor allem „under these conditions“. Wer war denn jetzt verrückt? Er oder wir? 

Dann lieber zurück. Oder doch vielleicht weiter, allen Warnungen zum Trotz? 

Christof meinte gesehen zu haben, dass das Gelände im weiteren Verlauf bald abflachen würde. Ich spürte seine Enttäuschung ob des abrupten Ende unseres kleinen Abenteuers. Er würde wohl lieber weitergehen. Der See war ihm jedenfalls überhaupt nicht geheuer. Das wusste ich. 

Aber sich über den Rat eines Locals einfach hinwegsetzen? 

Was also tun? 

 

Irgendwie musste der junge Mann unsere - vor allem meine - Ratlosigkeit gespürt haben. 

Eigentlich sei er zwar hierher gekommen, um in der Hütte zu rasten und die Sonne zu genießen. 

Aber jetzt würde er uns einfach zurück ans gegenüberliegende Ufer begleiten, so sein Angebot. 

„No problem at all. I will do this. Just follow me!“

 

Echt jetzt? Meinte er das ernst? Das war ja total nett. 

Aber sollten wir unser Leben diesem Unbekannten anvertrauen? 

Wir kannten ihn doch überhaupt nicht? Vielleicht hatte er ja keine Ahnung? Und es war reiner Zufall, dass der See ihn bis jetzt noch nicht verschlungen hatte. 

Ich betrachtete noch einmal skeptisch den wässrigen Uferbereich und die riesige weiße schneebedeckte Fläche, die mit ihren Tücken auf uns lauerte. 

Auch Christof zögerte. Er plädierte ja eigentlich für die Fortsetzung unserer Kraxeltour, war sich seiner Sache aber offensichtlich auch nicht sicher. 

Man weiß halt nie, was einen so erwartete. So oder so! 

 

„Are you serious?“

„Yessss!“,  sagte der junge Mann aus voller Überzeugung. 

Und im Übrigen ginge er voraus und wenn er einbräche, könnten wir uns ja immer noch in Sicherheit bringen. 

Das hatte er zwar vielleicht nicht ganz ernst gemeint, es klang aber irgendwie doch ermutigend. 

 

Letztendlich entschieden wir uns also, seinem Rat zu folgen und sein Angebot anzunehmen.

Und so glitten wir gemeinsam über das unendliche Weiß des Sees in Richtung Parkplatz, 

anfangs noch zögerlich und mit einem etwas mulmigen Gefühl, dann zunehmend mutiger. 

Und irgendwann waren wir so ins Gespräch vertieft, dass wir vergaßen, auf welchem Untergrund wir da unterwegs waren. 

Johan hieß unser Begleiter.

Er war gar kein Norweger, sondern Schwede, lebt aber schon seit 20 Jahren hier und kennt die Gegend offenbar wie seine Westentasche.  

Er sei viel mit den Skiern unterwegs - ebenfalls „Backcountries“ im Übrigen.

Und mit denen würde er auch „aufsteigen“ und dann im Tiefschnee die steilen Hänge runterfahren. 

Er zeigte auf einen der hohen und spitzen Berge gegenüber. 

Einmal im Monat zöge es ihn mit seinem Zelt in die Natur. 

Das würde er dann irgendwo aufschlagen - sommers wie winters. Einfach, um draußen zu sein. 

Im „normalen“ Leben, ja, da sei er eigentlich Schreiner, aber mittlerweile „retired“. 

 

Nach bereits 20 Minuten kamen wir ans Ufer. Dort trennten sich unsere Wege. 

„Thank you soooooo much! We are really greatful! Without you, we would have never …“

Johan brauchte noch ein bisschen „exercise“, erklomm behände den Anstieg und verschwand hinter der der nächsten Kuppe,

während wir die letzten Kilometer in der Ebene alleine weiterschoben, ganz piano und noch ein bisschen in Gedanken bei dem jungen Pensionär. 

 

PS:

Als wir ein paar Tage später nochmals von der anderen Seite zum See kamen, sahen wir, dass wir sehr wohl hätten oberhalb des Ufers weitergehen können. Sicher hätten wir auch keine zwei Stunden für den Rückweg gebraucht. Johan hatte uns einfach unterschätzt. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Heinz (Samstag, 01 April 2023 15:13)

    Habe mitgefiebert!
    Habe mir auch gerade die Minna Fotos angeguckt, hat sich richtig gelohnt ne Drohne mitzunehmen!

  • #2

    Hélène DEMARCQ (Samstag, 01 April 2023 17:51)

    Quel chemin depuis le mois d'août ...je viens de regarder la carte ...