Vorneweg:
Sisyphus hatte die Götter erzürnt. Zur Strafe wurde er dazu verurteilt, einen riesigen Felsblock einen steilen und hohen Berg hinaufzurollen. Den Gipfel erreichte er allerdings nie, denn der Felsblock entglitt ihm immer im letzten Moment und rollte zurück ins Tal. Immer wieder musste er von neuem beginnen.
Über Nacht hatte es geschneit. Endlich waren die Temperaturen wieder unter Null gesunken, der Regen in Schnee übergegangen und die Tristesse einer hellen Heiterkeit gewichen. Das war an unserem dritten Morgen in Kabelvåg, an einem Sonntag.
Neuschnee hieß immer auch Schnee schaufeln.
Die Handschneefräse in Cathinkas Carport war mir schon bei unserer Ankunft aufgefallen.
Sie kam mir natürlich sofort in den Sinn und ich freute mich schon darauf, auch mal mit so einem Ding durch’s Weiß zu pflügen und alles dann in einem hohen Bogen wieder auszuspucken. Wie oft hatten wir das beobachtet. Machte bestimmt Laune!
Leider stellte sich heraus, dass die Fräse nicht funktionierte.
Stattdessen durften wir uns aber an einem anderen „Novum“ erproben: einer Schneewanne, damit hatten wir die Leute auch schon oft Schnee schieben sehen.
Deutlich mehr Körpereinsatz, das war klar. „Some physical exercice“, so Cathinka ermunternd.
Als sie mit einer Handbewegung die Fläche umschrieb, die es freizuräumen galt, musste ich schlucken.
Vor allem, nachdem klar war, wo wir den Schnee NICHT hinschieben durften:
NICHT EINFACH auf die gegenüberliegende Straßenseite,
NICHT EINFACH in Richtung Nachbargrundstück,
NICHT EINFACH an den Zaun,
NICHT EINFACH an die Hauswand,
NICHT EINFACH zu den Mülltonnen,
sondern in einem größeren Bogen auf einen Haufen hinter einen großen Stein.
NICHTS ist einfach!
Haben wir aber brav alles so gemacht:
angefangen mit der fetten Bugwelle des Schneepflugs. Er hatte die Einfahrt komplett zugeschoben - schwerer, komprimierter Schnee.
Dann den Parkplatz und schließlich den Eingang zur Galerie.
Alles freigeräumt. War schon viel Arbeit, wir sind trotz Kälte ordentlich ins Schwitzen gekommen.
Und Christof hatte sich gleich eine fette Blase an der rechten Hand zugezogen.
Aber was für ein schöner Anblick! Sooo befriedigend zu sehen, was man getan hat!
Abends recherchierte Christof dann trotzdem, wie die Fräse zu reparieren sei.
Ihm schwante wohl, dass es noch viel schneien würde. War aber nix zu machen.
Selbst der Fausto, Spezialist für solche Reparaturen, konnte ihm nicht helfen - zumindest aus der Ferne nicht.
Nun denn, keine maschinelle Unterstützung also.
Weder am nächsten Morgen, noch an all den darauffolgenden Tagen.
Der Nachbar - das sei hier angemerkt - hatte übrigens so ein Teil, eines das funktionierte.
Und während wir uns mit Wanne und Schaufel mühten, knatterte er damit um sein Häuschen, spie riesige Schneefontainen in den grauen Winterhimmel und wirkte ganz entspannt.
Es schneite oft und das anfangs etwas triste Kabelvåg verwandelte sich nach und nach in ein traumhaftes Winterwondervillage.
Überall türmten sich bald die Schneeberge.
Überall schaufelte, schoben oder frästen die Leute.
Überall hörte oder sah man den Schneepflug.
Er fuhr täglich, zuweilen sogar mehrfach am Tag.
Und zu unserem großen Entsetzen, schob er j e d e s Mal immer wieder Cathinkas Einfahrt zu.
Gänzlich ohne Skrupel, völlig rücksichtslos!
Das heißt, auch dann, wenn wir sie gerade erst geräumt hatten, hinterließ das Mistding einen riesigen und langen Wall klumpigen und schweren Schnees.
So ein Hohn! So eine Frechheit! So eine Gemeinheit!
Womit hatten wir das verdient? Machte der das extra? Oder hatte der keine Augen im Kopf?
Klar, dass Cathinka da mal ein ernstes Wort mit dem Lump hinterm Steuer reden musste....Dachten wir. Tat sie aber nie.
Sie war einfach dankbar dafür, dass Kabelvågs Straßen überhaupt geräumt wurden.
Und so schneite und schneite es.
Und wir schippten, schoben und schaufelten dagegen an, was das Zeug hielt.
Wussten bald nicht mehr, wohin mit dem ganzen Schnee.
Unterdessen war auch der bewusste Stein unter einem weißen Berg begraben.
Da hieß es nun , bis zum Anleger schieben und den Schnee dort ins Meer kippen.
Mehr als 80 Schritte. Habe sie gezählt! Echt mühsam! Ich weiß nicht, wie oft wir da hin und hergelatscht sind.
Manchmal, während Christof mit der Schaufel im Gange war, habe ich zwei Wannen auf einmal benutzt, eine geschoben, die andere gezogen, immer im Bestreben, meine Schneeschippschaufelschiebetechnik zu optimieren und der Maloche ein schnelleres Ende zu bereiten. Hat nicht wirklich gut geklappt.
Der Hammer aber kam zum Schluss, einen Tag vor unserer Abreise.
Nach ein paar wunderbar sonnigen Tagen waren nachts mindestens 20 cm Neuschnee gefallen.
Als wir morgens vor die Türe traten, traf uns der Schlag: Alles, was wir mühevoll freigeräumt hatten, lag unter einem dicken weißen Teppich.
Und als Krönung: die wuchtige Hinterlassenschaft des Schneepflugs!
Mehr als zwei Stunden haben wir geackert, geschwitzt und geflucht!
Dann war‘s vollbracht!
Der letzter Akt im Drama: Sisyphus - Kampf dem Schnee.
Am darauf folgenden Morgen sind wir weitergefahren.
PS: So viel wie in diesem Winter hat es offenbar schon lange nicht mehr auf den Lofoten geschneit. Im Januar und Februar eher wenig, im März dafür umso mehr. Da kam Schnee in allen Spielarten vom Himmel herunter:
als feine zarte Kristalle, als fette nasse Flocken oder als harte graupelige Körnchen - leise und lautlos rieselnd oder in böigen, peitschenden Schauern.
Und anders als sonst blieb der Schnee nicht nur auf der Höhe liegen, sondern kam bis zur Wasserlinie hinunter.
Das machte den Anblick umso schöner!
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Terri (Freitag, 14 April 2023 20:59)
Nicht einfach …. aber einfach eine andere Welt und die Fotos und Bilder zeigen so klare, scharfe Linien und deine Beschreibung so wunderschön mit Humor untermauert
Hélène DEMARCQ (Samstag, 15 April 2023 15:27)
Pour quelqu'un du Sud comme moi, cela s'apparente à un véritable supplice ! Je crois que je me serais jetée sous les chaines du chasse neige. Quel mufle ! (insulte du Sud !)
Claude Boulanger (Mittwoch, 19 April 2023 10:04)
Hiermit spreche ich eine herzliche Einladung an Euch aus, im nächsten Schwarzwälder Winter unsere "noch" funktionierende Schneefräse auszuprobieren... An Sonn- und Feiertagen bin ich aber auch mit der Schneewanne (hier in Breitnau sagen dazu alle "Schneehex") unterwegs und das dauert dann auch mal ne Stunde für die Einfahrt. Freiburg liegt für derart Erlebnisse aber einfach zu tief...
Schönste Grüße in den Norden
Heinz (Donnerstag, 04 Mai 2023 20:50)
Richtig hartes Leben da oben! Aber wunderschön