Die Rückkehr des Lichts

 

5 Grad über Null, strahlend blauer Himmel, Sonnenschein.

Wir waren mit den Schneeschuhen zum Bromestinden unterwegs. 

Es war kurz unterhalb des Gipfels, als wir sie dort oben erblickten. Sie hüpften, tanzten, sprangen, sangen und klatschten einander in die Hände. 

Der warmen Klamotten hatten sie sich offenbar entledigt, ließen Luft und Licht an blasse Winterhaut. 

Ein Hund war auch dabei, tollte um sie herum, bedenklich nah am Abgrund. 

Wir hielten die Luft an, starrten nach oben, völlig fasziniert von diesem ausgelassenen Freudentanz, dieser sichtbar überbordenden Wonne. 

Ein paar Minuten später standen sie uns gegenüber. Zwei junge Frauen, vielleicht Mitte 20. 

Die Beschwingtheit noch immer im Gesicht, immer noch strahlend, immer noch beseelt. 

Nein, wir hätten sie nicht vertrieben. Sie wollten ohnehin zurück, zu ihrem schönen Plätzchen etwas weiter unten. 

Und weg waren sie. Kurvten mit großen, eleganten Telemarkschwüngen nonchalant und lässig ins Tal. Wow!  Das sah echt cool aus! 

Wir starrten ihnen hinterher, fasziniert und wohl auch ein bisschen neidisch. Die Inkarnationen von Lebensfreude, Leichtigkeit und Jugend! 

 … und diesen verdammten Telemarkschwung beherrschten sie auch wie aus dem Effeff. 

 

Ich wurde in den frühen Morgenstunden wach. 

Die Vorhänge vor dem großen Fenster waren nicht ganz zugezogen und helles Licht blinzelte durch den schmalen Schlitz ins Zimmer. 

Ein Blick auf die Uhr: kurz vor sechs. Christof schlief noch. 

Ich stand auf, lugte vorsichtig nach draußen und sah, wie sich die Sonne just in diesem Moment von Osten her hinter den Bergen in den klaren blauen Morgenhimmel schob. 

Es hatte mich das frühe Tageslicht geweckt! - Ein komisches, sehr ungewohntes Gefühl, über das ich schließlich wieder einschlief. 

Später wird mir der norwegische Wetterdienst YR.no bestätigen: Sonnenaufgang an jenem Mittwochmorgen: 5:50 Uhr. 

War es also schon so weit? Wurden jetzt die Tage wieder spürbar länger? 

Das  Mehr an Helligkeit war natürlich nicht über Nacht gekommen, aber an jenem Morgen hatte ich es zum ersten Mal ganz bewusst wahrgenommen. 

Der März ist in dieser Hinsicht eine besonders spannende Zeit. 

Sind in Freiburg zu Anfang des Monats die Tage noch länger als bei uns auf den Lofoten, nimmt die Tageshelligkeit hier oben sehr rasch zu, überholt schließlich diejenige zuhause und ist Ende März schon deutlich länger. Etwa eine Stunde mehr als in Freiburg.

Mitte Mai wird hier die Sonne für einen Monat gar nicht untergehen. Dann spricht man vom Polartag oder auch der Mitternachtssonne. 

Polartag und das Gegenteil Polarnacht entstehen durch die immer gleiche 23 Grad-Neigung der Erde und den damit zusammenhängenden schrägen Lichteinfall im Laufe eines Jahres, also während einer gesamten Sonnenumrundung. Die Region oberhalb des Polarkreises ist zur Zeit der Polarnacht komplett der Sonne abgewandt, während sie umgekehrt während des Polartages permanent von ihr beschienen wird. Am Südpol ist das umgekehrt. 

 

Wir hatten die Polarnacht nicht miterlebt, also den Zeitraum, in dem die Sonne gar nicht aufgeht. Sie dauert auf den Lofoten vom 6. Dezember bis zum 6. Januar.

Zu dieser Zeit waren wir nicht hier oben.

Wir hatten keine Arbeit gefunden und ich gebe offen zu, ich wollte nicht 24 Stunden zwischen Halbdunkel, Dunkelheit und Finsternis in der Minna hocken. 

Allein der Gedanke daran hatte mich zutiefst deprimiert. 

Auch weiter im Süden waren unsere Tage schon kurz genug, gerade aber noch erträglich. 

In einem Land, in dem sich das Licht monatelang rar macht, ist seine Wiederkehr etwas ganz Besonderes, vor allem dann, wenn sich auch Wärme und Sonne dazugesellen. 

Dann ist das ein Fest. 

Dann fühlt sich alles plötzlich "easygoing" an. 

Dann erwacht die bis dahin in Zaum gehaltene Sehnsucht nach dem Sommer. (Einen Frühling gibt's hier kaum.)

Dann heißt es genießen, genießen, genießen und diese Zeit voll auskosten. 

Dann rücken Gastwirte Tische und Stühle vor die Tür und die Norweger zischen das erste Utepils (= Draußenpils).

Dann räumt Cathinka ihre Terrasse frei und sitzt fortan morgens vor der Arbeit am „most beautiful coffeespot ever“! 

Dann fahren junge Frauen 50 km ins Gebirge an, um dort auf einem der Gipfel das Comeback der hellen Tage zu zelebrieren. 

 

Wir trafen die beiden auf dem Parkplatz wieder, am Ende ihres und unseres Tages. Sie schlitterten auf ihren Skiern heran.

Aus dem einen Rucksack lugte eine Ukulele, unter der Deckelklappe des anderen war ein großes Rentierfell zusammengerollt. 

Na, die hatten auch nach ihrem Tanz auf dem Gipfel noch ein paar tolle Stunden. Das war offensichtlich. 

"Yes, we had such a fantastic day!"

Sie hatten neben der Minna geparkt und so kamen wir mit ihnen ins Gespräch. Mit Oda und Else, beide Ende zwanzig, beide aus Tromsø. 

Else ist erst vor einem Jahr von Oslo hier hoch gezogen. Wegen des Skifahrens, wie alle, die nach Tromsø kommen, meint sie. 

"And do you miss Oslo?" 

"No, not at all!", sagt sie mit voller Überzeugung und strahlt übers ganze Gesicht. 

"Here you have nature, you can go out everywhere and it‘s so beautiful!" 

Und die Dunkelheit?

Die würden sie überstehen. "You have to cope with that." 

"I‘m always very tired during the dark time", meint Oda. "But wintertime, that‘s also cosyness." 

"And now, in springtime, when the light is back and days are getting longer?" 

"Now! Now, everything is completely different. It‘s so great! The sun, the warmth, spring, summer ….!"

Und wie es während der Mitternachtssonne sei. 

"During that time, we don‘t go to bed at all. We are out all the time!", sagt Else und lacht. "At least, as long as we are able to."  

Die beiden sind noch immer ganz beseelt, wie geflasht von diesem heutigen Sonnen-Licht-und-Wärme-Bad. 

Wir reden noch ein bisschen über dies und das und … über Schule. Else ist nämlich auch Lehrerin. 

Dann verabschieden sich die beiden. 

Sie wollen noch mal schnell nach Rekvik runter, noch mal kurz in den Fjord hüpfen. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Heinz (Donnerstag, 04 Mai 2023 20:55)

    Ein Utepils auf die spannende Story