Der Wert der Arbeit

"My brain is the key that sets me free."

Harry Houdini

 

Wir fangen immer so gegen halb 9 an, hatte Micke gesagt.

Und daß es nicht schlimm sei, wenn wir etwas später kämen. 

Nicht schon im Dunkeln? Erst halb 9? Später? Hä?

Okay, das mit der Dunkelheit hatte sich hier in Nordnorwegen inzwischen erledigt. Es wird einfach nicht mehr dunkel.

Aber was war mit "Wecker auf 6.00"? Oder wenigstens 6.30? Die Ziegen müssen doch gemolken werden…!

"Ich muß immer erst die Zwillinge in der Kindergarten bringen und Alma zur Schule, erklärte Micke und wunderte sich vermutlich etwas über unsere fragenden Gesichter 

"Wir brauchen morgens immer etwas länger. Früher geht einfach nicht. Ist aber auch überhaupt nicht schlimm." 

Klar war das nicht schlimm. Im Gegenteil. Thea und ich waren schnell überzeugt.

Pünktlich um halb 9 (wir sind deutsch) standen wir also oben im Ziegenstall.  Und trafen Helga. Magnas Mutter. Sie ist 72. 

Das erste was sie sagte, war so etwas wie:

Das mit dem Morgen, das sei nicht so ihres. Sie brauche immer etwas länger, bis sie in die Gänge kommt. 

"Ja, aber die Ziegen?" 

"Die sind das gewohnt. Mal früher, mal später. Wir haben sie so erzogen." 

Helga erzählte von einem Kollegen, der immer genau um Punkt 7.15 gemolken hat. 

"Wenn der mal 5 Minuten zu spät kam, da war aber Feuer im Stall." 

 

Sie hat uns dann gezeigt, wie das geht mit dem Melken. Also maschinell. Nicht von Hand.

Und schnell wurde klar, das ist ne Heidenarbeit. Trotz der Maschine. 70 Ziegen, 2 mal am Tag. Immer genau 12 Tiere in den Melkstand lassen.

Und da fängt es schon an. Alle wollen die ersten sein. Und dann krieg Du mal die Tür nach genau 12 Ziegen wieder zu, wenn alle von hinten schieben und drängen.

Danach Zitzen säubern, die Melkbecher anschließen, die Euter kontrollieren, warten bis alle fertig sind, Melkbecher ab, Gatter auf, nächste Runde.

Jedes Mal den Stall sauber machen, Gülle und Knöddel zusammenkratzen, Heu und Kraftfutter verteilen… 2 Stunden dauert das. 

Und wenn ich etwas dabei gelernt habe, dann, daß guter Käse jeden Cent wert ist.

An dieser Stelle muß ich unbedingt Houdini erwähnen. 

Die Ziege, die sich immer irgendwie aus dem Gatter befreit. Sie steht plötzlich mitten im Gang und keiner hat gesehen, wie sie dahin gekommen ist.

Inzwischen trägt sie eine kleine Glocke mit einem grünen Band um den Hals, damit man immer weiß, wo sie ist.

Und sie kommt in ein kleines extra Gehege. Das findet Houdini aber gar nicht so schlimm. Sie weiß offenbar, daß sie dort in aller Ruhe fressen kann, ohne sich mit den anderen um die besten Plätze zu streiten. Das Gehege wird übrigens zusätzlich mit einem Gurt gesichert, der durch alle Ösen gefädelt werden muß. Denn sonst öffnet sie Gurt und Gatter. Wie sie das genau macht, das hat  noch niemand beobachtet. Ist halt Houdini.   

 

"Some say I do it this way, others say I do it that way, but I say I do it the other way"

Harry Houdini

Wir werden in den kommenden 2 Wochen immer wieder im  Stall aushelfen und die schöne Atmosphäre  genießen.

Helga, Magna und Micke lassen uns machen, korrigieren hin und wieder mit einem Lächeln und geben uns ein gutes Gefühl.

Ich trage übrigens einen viel zu großen grünen Overall von der Bauerngenossenschaft, dessen Schritt auf Kniehöhe hängt. Mega Saggy-Style.

Ihr könnt euch erinnern ? An die Jungs, die kaum gehen konnten und ihre Hosen festhalten mussten? 

Niemand in Norwegen würde jetzt noch daran zweifeln, daß ich ein echter Bauer bin, hat Helga gesagt und mußte schmunzeln.

Thea hat einen roten Thermoanzug von der Molkerei Tine bekommen. 

Arbeitskleidung, damit wir den Ziegengeruch später nicht ins Haus tragen.

Was wir sonst noch so in Nordgård gemacht haben?

Mit Micke ein altes Heusilo leeren und abreißen

500 Lilien und 400 Dahlien im Gewächshaus eintopfen

Mit Magna Schnee vom Boden der Folientunnel wegschaufeln 

Hin und wieder für die Familie kochen

 

Und dann wartete zum Schluß noch eine ganz besondere Aufgabe auf uns. 

Der Güllegraben im Ziegenstall war randvoll.

Das hieß: Wieder schaufeln, nur diesmal keinen Schnee.

Das Gewicht fühlte sich deutlich schwerer an. Auch der Geruch war ein anderer….irgendwie süsslicher.

Aber hey. Das gehört zum Job. 

Und wie gesagt, ich werde nie wieder über den Preis eines guten Käses klagen. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Bernd und Gisela (Freitag, 12 Mai 2023 22:57)

    Schnee, blaues Eis, Wasser, Licht, blauer Himmel, rotes Meer, Eismeer, Kälte.
    ..... also was ihr im Norden erleben könnt. Fantastisch!
    Und die unzähligen interessanten, freundlichen Menschen.
    Gute Heimfahrt vom Hohen Norden Richtung Süden, Richtung Heimat.
    Wir freuen uns auf Euch!

  • #2

    Famille Demarcq (Montag, 29 Mai 2023 11:06)

    Houdini.....il fallait y penser.
    Une chèvre qui n'a pas l'instinct grégaire et qui prône l'indépendance , ce n'est pas pour me déplaire ....
    Savez-vous que le fromage de chèvre est celui que je préfère ? Le pélardon bien sûr §
    Comment se nomme le fromage de Magna et Micke ?