Taffe Frauen

Auf Nordård  leben zwölf Menschen.

Menschen unterschiedlichen Alters, alles Familie - vier Generationen!

Und in deren Mitte drei taffe und tatkräftige Frauen! 

 

Magna hat die Hände in die Hüften gestützt und steht ratlos vor dem Sicherungskasten. Sie hat heute Morgen Stalldienst. 

Ihr Mann Micke lässt sich in Sachen Käseherstellung ausbilden und ist fünf Tage in Südnorwegen unterwegs.

Und im Stall funktioniert die Melkmaschine nicht. Irgendeine Sicherung ist rausgeflogen, aber welche? Und durch welche die dann ersetzen?

Magna fummelt hier und fummelt da, dreht verschiedene Sicherungen heraus, probiert neue. Aber ohne Erfolg. 

Oh je!, denke ich. Die Ziegen müssen doch gemolken werden!… und sehe meine ungeübten Hände schon an prallen Ziegeneutern pfriemeln. 

Schließlich greift Magna zum Handy, ruft Helga an. 

Ein kurzes Gespräch, ein Handgriff und die Sache läuft.

 

Helga ist Magnas Mutter. 72 Jahre alt … oder jung? 

Sie ist jedenfalls noch ziemlich fit und noch immer eine unentbehrliche Kraft auf dem Hof. 

Eine echte Instanz! Nicht nur in Sachen Stromausfall. 

1988 hat sie Nordgård von ihrer Mutter Jenny übernommen und den Hof geführt, bis sie ihn wiederum vor vier Jahren an ihre Tochter Magna weitervererbt hat. 

„Mother helpes us to run the farm like her mother used to help her to run the farm“, erklärt mir Magna

Frauen, die zusammenhielten, Frauen, die zusammenhalten. 

 

Zunächst zu Jenny:

Jenny ist mittlerweile 93, sie wohnt in dem kleinen roten Holzhäuschen, gleich rechts unterhalb des Ziegenstalls.

Mit 19 kam sie nach Nordgård, das war 1949.

Und als ihre Schwiegermutter starb - offenbar auch eine überaus tüchtige Frau - übernahm sie die alleinige Verantwortung für den Hof. 

Auf alten Fotos sieht man sie im Kuhstall, auf dem Feld oder beim Schlachten.

Ihr Mann, politisch sehr aktiv, konnte sie kaum unterstützen. 

Jenny arbeitet nun schon seit langem nicht mehr auf der Farm und auch draußen sieht man sie fast nie.

Aber sie kann sich noch immer alleine versorgen und betritt man ihr Haus, staunt man: alles picobello, alles wie geleckt! 

Sonntags lädt Jenny zu Kaffe og Kake ein. Dann versammeln sich alle am Nachmittag in ihrer gemütlichen Stua mit dem wunderbaren Blick auf den Fjord, sitzen in der Sofaecke, unterhalten sich und genießen Kaffee oder Saft und Waffeln mit köstlicher Marmelade aus Moltebeeren

Auch wir waren dabei! Jenny wollte uns kennenlernen, auch wenn sie kein Englisch spricht und wir kein Norwegisch. Machte nix! 

Es war so herrlich unkompliziert, so schön familiär und Mutter, Großmutter, Urgroßmutter Jenny mittendrin - warmherzig, heiter und zufrieden. 

 

Zurück zu Helga, Jennys Tochter:

Eigentlich hatte Helga nicht vor, den Hof zu übernehmen.

Aber ihr Studium in Bergen  war nur ein kurzes Intermezzo.

An dem Tag, an dem ihr Professor aussprach, um was es beim Marketing eigentlich ging, zog Helga die Reißleine:

„You will learn to suggest needs to people, that they actually don’t have!“ Das war nicht ihr Ding! 

 

Zuhause war der Vater gerade zum Bürgermeister gewählt worden und Jenny brauchte dringend Hilfe mit dem Hof.

Helga kehrte also nach Nordgård zurück. „… and so I was caught!“, meinte sie rückblickend. 

Aber letztendlich - das gestand sie uns anderntags - könne und wolle sie an gar keinem anderen Ort wohnen.

Auch wenn sie nie in den Fjord zum Schwimmen, noch in die Berge zum Skifahren ginge, Nordgård sei ihr Zuhause. 

Als sie die Farm später übernahm, war auch sie zunächst auf sich gestellt. 

Ihr Mann Eirik arbeitete in Tromsø auf der Bank und hatte sich geschworen: „I will never milk a goat!“

Das haben die taffen Frauen dem feinfühligen und feinsinnigen Städter aus Narvik  nie übel genommen. 

Sie unterstützen sich gegenseitig und dank womenspower lief die Farm auch ohne ihn. 

Mit über 50 entschied Helga schließlich, sich von ihren Kühen zu trennen und fortan eine Ziegenfarm zu betreiben.

„When you are getting older, goats are much easier to handle than cows.“

 

Im Übrigen gibt es von Helga sehr schöne alte Schwarzweißfotos. 

Eirik hat sie gemacht, ein leidenschaftlicher Fotograf. 

Er wusste seine Helga bestens in Szene zu setzen, wobei die Fotos weit davon entfernt sind, inszeniert zu wirken. 

Auf alle Fälle muss Helga damals wohl „ein richtiger Feger“ gewesen sein. 

Selten ging’s mir so wie diesmal: 

Jedesmal, wenn ich ihr gegenüber stand, sah ich in ihr auch die junge Frau von den Fotos. 

Diese immer präsente und mitschwingende Vergangenheit gab ihrer Person eine zusätzliche Tiefe. 

 

Insgesamt kommt Helga noch immer ziemlich cool rüber, mit ihrem trockenen Humor, ihrem lakonischen „joa, joa, joa“ oder „nei, nei, nei“ oder mit ihren lässigen Sprüchen wie „There is no fire in the toilet“, wenn‘s mal nicht so dringend ist. 

Mit ihr konnte man sich gut unterhalten und das taten wir oft. 

Nicht selten beim Melken. Wenn wir warten mussten, bis sich die Melkbecher abstellten. 

Mit Blick auf die je zwölf Ziegenhinterteile vor uns ging es dann u.a. um Sprache;

um das Norwegische und Deutsche, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten und etymologische Spitzfindigkeiten.

So etwas interessierte sie. Aber vieles andere auch. Helga ist ziemlich belesen und gebildet. 

Gerne, so erzählte sie uns auch, würde sie mal den Aachener Dom sehen.

Und ein langgehegter Traum sei eine Wanderung durch die Ukraine, aber das habe sich jetzt ja erledigt. 

Mehrfach haben wir sie nach Deutschland eingeladen, sie u.a. mit dem Freiburger Münster gelockt. Mal schauen, ob sie kommt. 

Fotograf Eirik Borg

Und dann gibt es noch Magna. Magna Nordgård-Melander

Helgas Tochter, Jennys Enkelin und die Lebenspartnerin von Björn Mikael Melander, genannt Micke. Beide um die 40. 

Vor vier Jahren ging Nordgård in Magnas Besitz über und sie und Micke zogen 2019 mit ihren drei Mädels nach Tromsø.

Ließen ihr bisheriges Leben hinter sich: die spektakuläre Landschaft der Lofoten, Mickes geliebtes Surferparadies, das coole Städtchen Kabelvåg und vor allem ihre Freunde. 

Seitdem streiten sie, wo es den schöneren Blick auf‘s Meer gibt: in Kabelvåg oder Nordgård?! 

Unter Mickes und Magnas Regie läuft die Farm anders als bisher: 

Nun arbeitet eine Frau in der Stadt. Magna ist Zahnärztin in der tanklinik  in Tromsø und hat sich gerade dazu durchgerungen, auf eine Vollzeitstelle zu wechseln. 

„It‘s only because of the money! We need it! I would rather work more on the farm.“

Das tut Micke an ihrer Stelle.

In einem früheren Leben arbeitete er als Glasbläser in Henningsvær, betrieb eine eigene Kaffeerösterei und war vor allem ein leidenschaftlicher Surfer. 

Nunmehr ist er zum Farmer geworden, hat auf Nordgård wahnsinnig viel dazugelernt, kümmert sich um alles, schuftet von morgens bis abends und wird tagsüber vor allem von Helga unterstützt.

Magna packt an den Abenden oder am Wochenende mit an und sorgt ansonsten für das finanzielle Polster.

Denn an Träumen, die auf Realisierung warten, mangelt es den beiden nicht:

Sie wollen den Stall vergrößern, Islandponeys anschaffen, unten am Fjord eine Sauna bauen, eine Art Yoga- und Gesundheitsretreat anbieten und und und …

 

Und die beiden haben Kinder! Drei süße Mädchen: 

Alma 9 Jahre und die Zwillinge Helle und Nanna 5 Jahre. 

Die halten sie ordentlich auf Trab. 

Eine neue Generation starker Frauen? 

PS bzw. eine weitere Bemerkung zur Gleichberechtigung von Mann und Frau in Norwegen (-> Begegnungen: Andrea Nordli):

Dass die Norwegerinnen so tatkräftig und entsprechend selbstbewusst sind, hat auch historische Gründe: 

Zum einen ist der Gleichheitsgedanke tief im Volk verwurzelt. Der Pietismus, der in Norwegen stark verbreitet war, erachtete Mann und Frau als ebenbürtig.

Zum anderen ist Norwegen ein Küstenland. Die Männer fuhren zur See, die Frauen führten den Hof und kümmerten sich um die Familien. 

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