Quelle: Inge Wegge/Lofoten Filmcollective
Ich konnte es kaum erwarten.
Den Film "North of the Sun" hatten wir bereits gesehen.
Jetzt wollte ich unbedingt dorthin. An den Ort, wo Inge Wegge und Jørn Nyseth Ranum 9 Monate lang gelebt hatten.
Vor allem aber mußte ich in diese Hütte.
Die Geschichte faszinierte mich.
Der Weg nach Kvalvika ist etwas mühsam.
Er führt auf einem schmalen Pfad durch sumpfiges Grasland, dann zwischen großen Geröllblöcken hinauf auf einen Sattel.
Das Meer dahinter sieht man schon früher, den Strand erst, wenn man auf der anderen Seite wieder ein Stück bergab gestiegen ist.
Und der Anblick ist beeindruckend. Hohe schwarze Felsen links und rechts, dazwischen feiner Sand und türkisfarbenes (!) Wasser.
Wie hatten sich die beiden Freunde wohl gefühlt, als sie hier oben ankamen.
Es war September damals. Ein langer dunkler Winter stand bevor. Hatten sie in diesem Moment Zweifel bekommen?
Bei unserem Gespräch ein paar Tage zuvor hatte Inge erzählt, daß sie ihrem Traum und ihrer Leidenschaft gefolgt waren.
Klar sei die Idee ein bisschen verrückt gewesen, meinte er, aber manchmal mußt Du Dinge einfach tun.
"Wir wollten Surfen und ein einfaches Leben führen."
"Dafür schien dieser Ort perfekt. Die Straße, das nächste Haus über 2 Kilometer entfernt, kein Handyempfang - nichts - nur Berge und Meer."
Und niemand sollte wissen, daß sie hier waren.
"Wir haben keinem erzählt, wo dieser Strand ist. Auch später nicht.
Wir wollten, daß die Menschen die Möglichkeit haben, diesen Ort selbst zu entdecken oder einen anderen."
Heute sind die Pfade, die nach Kvalvika führen ausgetreten, überall mahnen Schilder, daß die Leute auf dem Weg bleiben sollen.
Man kann sehen, wie die Vegetation leidet.
Die Bucht ist inzwischen eines der Highlights auf den Lofoten, die Einsamkeit längst Geschichte. Rund 50.000 Besucher kamen im verg. Jahr hierher.
Auch wir sind an diesem Tag nicht alleine unterwegs.
Aber der ganz große Ansturm kommt erst noch - im Sommer.
Im Film war mir aufgefallen, daß Inge und Jørn ihre Hütte hinter einen riesigen Felsklotz gebaut hatten.
Der einzige Ort, der in Frage kommt, ist auf der linken Seite der Bucht.
Dort, wo der Fuß des Berges in den Strand übergeht, sehe ich große, dunkle Brocken liegen. Es kann nur da sein.
Als Inge Wegge und Jørn Nyseth Ranum nach Kvalvika kamen, hatten sie sich mit abgelaufenen Lebensmitteln aus dem Supermarkt eingedeckt.
(Die gab es damals in Norwegen umsonst)
Sie hatten ihre Schlafsäcke dabei, Nägel und Werkzeug, natürlich ihre Surfbretter und ziemlich dicke Neoprenanzüge. Sonst nichts.
Das Material für ihre Hütte fanden sie am Strand. Unzählige Steine, viel Treibholz und jede Menge Müll. Darunter 2-3000 Plastikflaschen, mit denen Sie ihre Wände isolierten. Eine riesige Plane für das Dach, ein altes rostiges Ölfaß, aus dem sie einen Ofen bauten…
Es ist unfaßbar, was sie aus dem ganzen Müll gemacht haben.
Inges Vater ist Schreiner, er selbst hat sein erstes Baumhaus mit 10 Jahren gebaut.
Hätten wir den Film nicht gesehen, wir hätten ihr „Haus“ vermutlich nicht gefunden.
Jetzt stehen wir davor und staunen.
Alles ist noch wie vor 12 Jahren. Auch innen.
Fotos hängen an den Wänden, es gibt einen Schreibtisch mit Waschbecken, natürlich ein Bild von König Harald an der Wand, 2 Betten und sogar die Surfbretter sind noch da. Nur das Ölfaß wurde durch einen kleinen Holzofen ersetzt. Man hat fast den Eindruck, als wären sie gerade erst gegangen.
"Your are welcome to use everything here", heißt es in dem Abschiedsbrief den Inge und Jørn vor 12 Jahren hinterlassen haben
"We hope you enjoy and respect it."
Vor der Tür stehen schon die nächsten Besucher. Wir müssen uns beeilen.
Ob der Film dazu beigetragen hat, daß Kvalvika heute von Touristen regelrecht überrannt wird, wollten wir ein paar Tage vorher wissen. Und wie er das findet?
Inge ging auf die Fragen nicht weiter ein.
"Wir haben den Namen Kvalvika nie genannt, auch nicht im Film."
Er vermutet, die Locals hätten die Bucht wiedererkannt und irgendwann ausgeplaudert.
Der Strand wäre wegen seiner Lage und seiner Schönheit aber so oder so zum Hotspot geworden, glaubt er.
In den 9 Monaten haben die beiden übrigens 3 Tonnen (!) Müll gesammelt, der dann irgendwann von einem Hubschrauber abgeholt wurde.
Daraus ist eine schöne Tradition entstanden. Bis heute ist jeder Besucher in Kvalvika angehalten, Müll aufzuheben und in großen, weißen Plastiksäcke zu entsorgen, die am Rand bereit stehen.
Wir steigen auf zum Ryten, der auf der rechten Seite über dem Strand thront.
Von oben wollen wir einen letzten Blick auf Kvalvika werfen.
Ganz plötzlich verdunkelt sich der Himmel, Sturmböen peitschen über die Bucht, wir können uns kaum auf den Beinen halten.
Im Angesicht des Unwetters gehen meine Gedanken noch ein letztes Mal zurück ins Jahr 2010.
Der Winter, den Inge Wegge und Jørn Nyseth Ranum hier erlebt haben, war lang und einer der härtesten seit Jahren.
Was für ein verrücktes Abenteuer.
Es gibt eine wunderschöne Szene im Film.
Die beiden rennen quer über den Strand, sie schreien, johlen und können ihr Glück kaum fassen.
Es ist der Tag, an dem die Sonne nach Kvalvika zurückgekehrt ist.
Am Ende der Bucht bleiben sie stehen. Sie haben die Augen geschlossen, genießen die warmen Sonnenstrahlen auf der Haut.
"Was sollen wir heute tun", fragt Inge.
"Laß uns einfach nur hier stehen", antwortet Jørn.
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Ulrike Rotzinger (Mittwoch, 07 Juni 2023 11:53)
… eine tolle und faszinierende Geschichte… erinnert mich an mein Lieblingsjugendbuch: Insel der blauen Delphine…
Heinz (Freitag, 09 Juni 2023 14:37)
Faszinierend