Geir

"Hi, my name is Geir."

Er streckte mir die Hand von der anderen Seite der Reling entgegen.

"[gaiːjɐr]!" Er wiederhole seinen Namen nochmal, vermutlich um sicher zu gehen, daß ich ihn richtig verstehe. 

 

Vor mir stand Geir Halvard Nilssen Antonsen. Jahrgang 1965. Fischer aus Svolvaer/Lofoten. 

Vielleicht  d e r  Fischer auf den Lofoten und was für ein Typ!

Ich kletterte etwas unbeholfen an Bord der Mercedes.

Nein, nicht Mercedes, sondern [mɛʁˈt͡seːdəs]. Geir hat das Boot nach seiner Frau benannt. Einer Mexikanerin. 

By the way, er machte einen ziemlich glücklichen und ausgeglichenen Eindruck, als er von ihr erzählte. 

Ich hatte Geir auf Facebook angeschrieben, weil in Norwegen fast niemand WhatsApp hat und gefragt, ob ich ihn mal begleiten dürfe.

"Kein Problem",  schrieb er zurück. Und so fuhren wir an diesem trüben Morgen mit der Mercedes hinaus in den Raftsund.

Ich hatte mir ehrlich gesagt Sonne gewünscht, eine glatte Wasseroberfläche und schönen Spiegelungen von den schneebedeckten Bergen rechts und links. 

Gab es nicht. Nichts davon. Es hatte ordentlich gestürmt und geregnet in den vergangenen 2 Tagen und jetzt konnte ich froh sein,

daß es nicht wie aus Kübeln goß oder hagelte oder beides.  

 

 Ob ich Fotos machen dürfe? 

"Klar, no problem", sagte Geir, das norwegische Fernsehen sei auch schon an Bord gewesen. 

Kurze (rhetorische) Pause … Und das italienische, das französische, das deutsche - Arte TV...

Er habe Journalisten aus der ganzen Welt mitgenommen, hatte Gäste aus England, Ungarn, der Ukraine und Brasilien.

Ich war offenbar auf dem Schiff eines Medienprofis gelandet. 

Ich solle bitte darauf achten, daß man die Fischfarm am anderen Ufer des Fjords nicht auf den Bildern sieht, bat er, weil die so furchtbar hässlich sei.

Und über das Thema Walfang in Norwegen werde er auch nicht reden. Aber sonst …

So sprachen wir zuerst mal über Fußball. Über Ipswich Town F.C. England. Deren Supporter er ist. Seit einem Freundschaftsspiel von Ipswich gegen den FK Bodø/Glimt. Das war 1976. Über 40 Jahre später wurden Leidenschaft und Treue belohnt. Er durfte im Stadion vor 25.000  Fußballfans den Pokal an den besten Spieler des Jahres übergeben. Die Engländer gaben ihm, Geir Harvard Nilssen Antonsen damals den Namen „The Codfather“. (Cod = Kabeljau)

 

Er drosselte den Motor, fischte eine orangefarbene Boje und einen schweren Metallanker aus dem Wasser und begann, sein erstes Netz einzuholen. Er kommentierte jeden Fisch, der sich in den Maschen verfangen hatte, zeigte ihn stolz in die Kamera, bevor er ihn mit einem gezielten Wurf in eine große blaue Tonne warf.

Cod (Kabeljau), Sei (Köhler), Rødfisk (Rotbarsch), Lyr (Pollack), Brosme (Lumb)…

Nein, ein anderes Leben könne er sich nicht mehr vorstellen. Die Frage war völlig überflüssig gewesen. 

Ich spürte, wie wohl er sich in dieser Landschaft fühlte, konnte sehen, wie sehr er das Meer genoß. Und diesen Beruf, der ihn sicherlich nicht reich machte aber sehr zufrieden. Geir hatte zuerst Schreinerei gelernt, bis er sich sein erstes Boot kaufte und zur Fischerei wechselte.

Bei seinem Vater sei es andersrum gewesen. Der war zuerst Fischer und wurde dann Schreiner. 

„Hollywood“, sagt Geir plötzlich vergnügt und beugte sich mit einem breiten Grinsen über die Reling.

"Hollywood?" Ich war mir nicht sicher, ob ich richtig gehört hatte und verstand, als er einen riesigen Plattfisch an Bord wuchtete. 

Er hatte nicht Hollywood gesagt, sondern Halibutt, also Heilbutt. Dieser hier wog etwa 15 Kilo und würde ihm in der Fischfabrik 1000 NOKs einbringen.

Geir schmunzelte zufrieden und durchtrennte mit einem schnellen Schnitt die Kehle des großen Fisches. 

 

Ich hatte bemerkt, daß die Zahl der Möwen in der letzten halben Stunde deutlich zugenommen hatte. Zu Beginn unserer Fahrt waren es nur ein paar wenige gewesen, jetzt folgte ein ganzer Schwarm der Mercedes durch den Raftsund. Eine war besonders keck. Sie stand vorn auf dem Bug und lugte vorsichtig hinter der Kajüte hervor, so als würde sie auf etwas warten.

„Hallo Juan“, sagte Geir.

Juan?"

„Ja. Juan begleitet mich seit 3 Jahren.“

„Und da ist Lukas.“ Er zeigte hinauf in den Schwarm.

„Er folgt meinem Boot seit 15 Jahren. Egal wohin. Er hat eine Missbildung am Hals. Daran erkenne ich ihn.

Ich hätte nie gedacht, daß er es schafft. Aber Lukas ist clever. Er weiß, daß er immer eine Extra-Portion kriegt."

Geir hielt der Möwe irgendetwas Langes hin. Fischmagen vielleicht.

"Es sind fast alle da, nur Gutiérrez fehlt noch. Wenn Du eine Möwe mit schwarzen Flügeln siehst, das ist Gutiérrez.“

(Gutiérrez entspricht übrigens dem deutschen Namen Walter)

Mir wurde klar, wie wichtig die Möwen für Geir waren. Sie waren treue Weggefährten , die ihn auf seinen Fahrten durch die Fjorde und hinaus aufs Meer begleiteten. Egal bei welchem Wetter. Und die Vögel wußten, daß sie dafür belohnt würden.

 

„Now you will see what happens“. 

Wir waren bereits auf der Rückfahrt und ich hatte eigentlich nichts Besonderes mehr erwartet.

Geir stoppte den Motor. Als er begann, seinen Fang mit einem langen Messer auszunehmen, war es, als würde sich der Himmel über uns noch mehr verdunkeln. Der Möwen flogen jetzt enger und dichter, vor allem tiefer. Der Schwarm stülpte sich förmlich über die Mercedes.

Ich spürte den Luftzug der Flügelschläge im Gesicht. 

Der Fischer stand mittendrin, arbeitete seelenruhig und streckte zwischendurch immer wieder seine Hand mit den Gedärmen in die Höhe.

Ich konnte eine Möwe mit schwarzen Flügeln über meinem Kopf erkennen. Gutiérrez. Jetzt waren alle da.

Die Fütterung der Raubtiere hatte begonnen.

Es war der Höhepunkt eines besondern Morgens mit Geir Harvard Nilsson Antonsen.

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mit der Drohne Bilder während der Fahrt und von vorn zu machen.

Aber der Möwenschwarm hätte das Fluggerät unweigerlich zum Absturz gebracht. 

So blieben mir nur ein paar Bilder aus großer Höhe. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Martina (Montag, 11 Dezember 2023 08:33)

    Hallo,

    ja, genauso haben wir Geir im Oktober 23 kennengelernt!

    Bilder findet Ihr auf storkminesphotography.de

    Liebe Grüße