Midnatssol

Einmal wenigstens… nur ein einziges Mal.

Da war diese quälende Sehnsucht in mir, die darauf wartete, Erfüllung zu finden.

Einmal wenigstens wollte ich die Mitternachtssonne sehen.

Einmal einen dieser Tage erleben, die nicht enden.

Ich wollte nachts auf dem Gipfel eines Berges stehen, hinaus aufs Meer schauen und die Zeit vergessen.

Oder ich würde am Strand liegen und die Magic Hour genießen, ihr warmes goldenes Licht , die langen Schatten, stundenlang…

Ich wollte tun, was man sonst nur tagsüber tut, schlafen würde ich erst am nächsten Morgen.

Die Mitternachtssonne war der Grund, warum wir länger oberhalb des Polarkreises geblieben waren. 

 

Tagelang hatte ich mit Ungeduld und fortschreitender Enttäuschung auf die Wetter-App von Yr.no geschaut. In Erwartung eines Sonnensymbols im Wochenverlauf. Doch da war nichts außer Regen, Sturm und dichten Wolken. Und eigentlich wollten wir längst auf dem Weg in Richtung Süden sein.

Viel Zeit blieb also nicht mehr. 

Der kommende Dienstag machte ein kleines bisschen Hoffnung. Regen am Morgen hieß es, ab Nachmittag sollte es spürbar besser werden.

Ab 21.00 war Sonne angekündigt bis Mitternacht. Danach wieder Regen.

Das mit „die Zeit vergessen und die ganze Nacht unterwegs sein“ hatte ich mir ohnehin schon abgeschminkt.

Jetzt galt es mitzunehmen, was noch zu kriegen war. Es war definitiv unsere letzte Chance. Anschließend würden wir die Lofoten verlassen. 

 

Gegen halb vier etwa brachen wir auf, was sich bei einer Wanderung über 12 Kilometer irgendwie etwas merkwürdig anfühlte.

Unser Ziel, der Munken, ein Berg im Süden der Lofoten, 769 Meter hoch, bekannt für seine spektakuläre Aussicht in alle Himmelsrichtungen. 

Der Regen hatte tatsächlich aufgehört, wenn sich jetzt noch der Himmel heben würde...

 

Mit Zuversicht wanderten wir Kilometer um Kilometer das Tal hinauf, reagierten auf kleinste Wolkenlöcher mit großer Euphorie.

Wir kraxelten über Felsen, zogen uns an Ketten hoch und erreichten kurz vor 8 Uhr abends den letzten Anstieg.

Vielleicht noch eine Stunde…da oben würde irgendwo die Sonne auf uns warten.

Doch dann war da plötzlich dieses extrem abschüssige und lange Schneefeld, das wir hätten überqueren müssen und was wir zu diesem Zeitpunkt taten,

war ohnehin schon mehr Klettern als Wandern. Es wäre zu riskant gewesen.

Ich mach’s kurz. Wir haben die Tour an diesem Punkt abgebrochen, auch weil das Wetter nicht wirklich besser wurde.

Die Wolken klammerten sich förmlich an die bizarren Spitzen der Lofotengipfel.

Yr.no, bislang Vorbild meteorologischer Vorhersage, hatte sich geirrt. 

Wir begruben die Hoffnung auf eine mitternachtssonnige Weitsicht endgültig am letzten Steilhang unterhalb des Gipfels.

Der Weg zurück zog sich stundenlang hin, genug Zeit also, immer wieder laut vor mich hin zu hadern. Als ich mich noch einmal umdrehte, konnte ich beobachten, wie die Wolkendecke für einen Moment aufriß.  Dahinter leuchtete die warme Abendsonne auf die atemberaubende Gipfelkette der Lofoten und das Meer dahinter. Dann fiel der Vorhang wieder. 

Kurz vor Mitternacht erreichten wir unsere Minna und meine Enttäuschung war längst einer schmerzhaften Erschöpfung in Knien und Oberschenkeln gewichen. Ein paar Minuten später fing es an zu regnen. In diesem Punkt hatte Yr.no Recht behalten. 

 

Was bleibt ist eine Beinahe-Mitternachtssonnen-Erlebnis.

Eine Woche vorher. Sehr spontan und wunderschön. Ein Spaziergang an der Küste.

Um 0.04 ging in dieser Nacht die Sonne unter, 2 Stunden später ging sie wieder auf.

Nur lagen wir da schon in unseren Betten.

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