Leaving Lofoten

Am 30. Mai haben wir die Lofoten verlassen. Morgens um 7:00 Uhr fuhr die Fähre.

Die Nacht zuvor hatten wir bereits am Anleger verbracht.

Standen mit der Minna in der Warteschlange, so, als hätten wir es nicht erwarten können, von hier fortzufahren. 

Ein komisches Gefühl, wenn es dann soweit ist, wenn die Entscheidung feststeht, man endgültig Abschied nimmt und weiß, dass man so schnell nicht wieder zurückkehren wird. 

Trotzdem, so fällt mir heute auf, haben wir nicht schweren Herzens an der Reling gestanden, um die Lofotenwand in der Ferne verschwinden zu sehen oder gar zu trauern, so wie man das normalerweise tut, wenn man einen besonderen Ort hinter sich verlässt.

Ich glaube, die Nacht war zu kurz gewesen, um sich gleich morgens vor dem Frühstück, quasi auf nüchternen Magen, abermals Regen, Wind und Kälte auszusetzen.

Vielleicht war es aber auch etwas anderes …

 

Tagelang hatten wir die Abfahrt hinausgeschoben. Immer in der Hoffnung auf ein Nachlassen des Regens, auf ein bisschen weniger Wind und etwas mehr Sonne … und die vielleicht sogar zu Mitternacht.

Auch die Helgelandküste, die wir im Anschluss vorhatten hinunterzufahren, triefte laut yr.no vor Nässe, Nebel und Niederschlag. Keine Option!

Tja, das Wetter und das Licht….

 

So brachte uns die Fähre weg von den Lofoten, die Europastraße 6 ganz schnöde innerhalb eines Tages über den Polarkreis und 48 Stunden später mitten ins Innlandet. Mehr als 800 km nur Regen und Schmuddelwetter. 

Erst ab Oppdal gab‘s dann Wolken ohne Niederschlag und im Dovrefjell begrüßten uns schließlich blauer Himmel und Sonnenschein. 

Ein Weltenwechsel! Wieder ein Weltenwechsel! Was für ein Weltenwechsel! 

 

Was wir hinter uns ließen, war mehr als eine exotische und atemberaubende Landschaft im „Hohen Norden“, die gerade im Regen zu ertrinken schien.

Es war und ist vor allem auch ein Lebensgefühl. Hier oben lebt man anders als im Süden. Nicht besser, nicht schlechter, einfach anders.

Es ist ein rauher Landstrich, bei weitem nicht so kalt, wie man meinen könnte - da gibt es ja den Golfstrom - dafür aber mit viel Sturm und Niederschlag aller Art. Wetterlagen, die empfindsamen Seelen auf die Stimmung schlagen können.

Und was für Norwegen im Allgemeinen gilt, gilt für den Norden im Besonderen: Es ist ein Land der extremen Lichtverhältnisse:

Die Winter sind dunkel und lang, die Sommer lichtdurchflutet und kurz. Licht und Wetter bestimmen das Dasein.

Wer hier lebt, ob schon immer oder zugezogen, weiß um die Unwirtlichkeit, sucht sie vielleicht, stellt sich ein auf dunkle und auf helle Zeiten,

weiß beides zu nutzen und das Beste daraus zu machen. 

 

Zugezogene gibt es im Übrigen viele auf den Lofoten: Künstler, Fotografen und Filmemacher, Sportler und Naturliebhaber aus aller Welt lassen sich hier nieder, angelockt von dieser spektakulären Landschaft in diesem außergewöhnlichen Licht:

Ein bizarres Gebirge, das sich unmittelbar und fast dramatisch aus dem oft türkisblauen Meer erhebt, ein Archipelago mit Inseln wie Perlen an einer Schnur, malerische Fischerdörfer und rote Hütten auf gakeligen Stelzen, lange, weiße Strände, die nach Südsee schmecken …

Wo sonst gibt es denn so etwas?  

Hier können sich vor allem die Outdoorfreaks austoben; auf dem Surfbrett, den Skiern, im Kayak, am Berg, unter Wasser...

Ein Terrain der unbegrenzten Möglichkeiten, ein riesiger exotischer und wunderschöner Abenteuerspielplatz. 

Wer will da nicht bleiben und seinen Traum Wirklichkeit werden lassen? 

Manche machen in Kunst oder Gastronomie, aber die meisten in Tourismus und da insbesondere in „Outdoor“:

verdingen sich als Anbieter von Ski-, Kajak- und Angeltouren, Nordlicht-, Adler- und Walsafaris. 

Die Natur bietet nicht nur ein Füllhorn an Inspiration für kreative Geister, sondern lässt sich auch bestens vermarkten.

Noch! 

Wenn ich die Monate auf den Lofoten Revue passieren lasse, dann drängt sich mir insbesondere ein Gedanke immer wieder auf:

Was bin ich froh, dass auch wir hier ein Stück weit sesshaft geworden sind, zumindest für eine gewisse Zeit im sympathischen kleinen unaufgeregten Kabelvåg. Froh vor allem aber darüber, dass wir die Lofoten „out of season“ erleben durften. 

Wir hatten einen herrlichen, außergewöhnlich schneereichen Winter, waren viel mit den Skiern unterwegs, brauchten nirgendwo Schlange stehen, mussten die Strände und Highlights nur mit wenigen Reisekollegen teilen. 

Bei unserer Rückkehr im Mai war es schon deutlich voller.

Aber was für ein Privileg, dann zu dieser Zeit inmitten Judiths Kräutergarten zu wohnen und von dort aus, die Gegend zu erkunden. 

Um nichts in der Welt hätte ich im Sommer hier sein wollen, zusammen mit Millionen anderer Touristen, die sich mit ihren weißen Flagschiffen in nicht enden wollenden Kolonnen über die Inseln und von einem Hotspot zum anderen schieben, weder einen Platz zum Parken, geschweige denn zum Schauen finden.

Die Lofoten sind schon lange kein Geheimtipp mehr!

Seit einigen Jahrzehnten wird die Inselgruppe ab Mitte Mai bis Anfang Oktober regelrecht heimgesucht. 

Die Lofoten sind zum Opfer ihrer eigenen Schönheit geworden. 

Wir lesen vom Problem des Massentourismus, von Wildcampern an geschützten Orten, vom Müll in der Natur, von Fäkalien in den Vorgärten und Colibakterien in den Gewässern, von Erosion an steilen Hängen, … 

Und wir hören und sehen, wie sich die Locals wehren:

überall Ver- und Gebotsschilder, Kontrolle und Reglementierung von Zu- und Ausfahrten, Stell-, Park- und Rastplätzen.

Weit mehr als im Rest dieses riesigen Landes. 

Mittlerweile denkt man über eine Besteuerung der Touristen nach, um der Massen durch eine verbesserte Infrastruktur Herr zu werden und mehr Geld für Umweltschutzmaßnahmen zur Verfügung zu haben. 

Der Tourismus ist hier wie andernorts ein Fluch und ein Segen zugleich. 

 

Und wir, die wir als Workawayer hierher kamen, gehören letztendlich doch auch zu diesen Massen.

Auch wir wandeln auf buchstäblich ausgetretenen Pfaden, wenn wir Kvalvika aufsuchen oder den Ryten erklimmen. Auch wir sind ein Teil des Problems. 

Vielleicht ist es dieses Bewusstsein, dass einen irgendwie schalen Geschmack hinterlässt und weshalb wir lieber unter Deck bleiben, als winkend an der Reling zu stehen. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Bernd und Gisela (Donnerstag, 22 Juni 2023 22:24)

    Herrlich wie ihr eure Erlebnisse beschreiben könnt - sonst würden wir den Ausdruck "unbeschreiblich" verwenden.
    Man kann ein Stück miterleben und die außergewöhnlichen Fotos machen das Gesamtbild perfekt.
    Übrigens: in den letzten Tagen bin ich auf der Suche nach den Tannenzapfen.
    Mit Erfolg. Der Waldrausch könnte auch dieses Jahr wieder gelingen.
    Schön, dass ihr wieder Richtung Süden unterwegs seid.
    Wir freuen uns auf euch... Liebe Grüße!